Die Zeit als Wirtin am Enzingerboden

Margaretha Vötter

35 Jahre lang war ich Wirtin am Enzingerboden auf 1500m Seehöhe, einem abgeschiedenen, rauen Ort mitten in den Bergen, der zugleich etwas märchenhaftes und einen ganz eigenen Zauber in sich trägt. Die Natur war in dieser Zeit meine treue Gefährtin: Kräuter, Blüten, Beeren, all das, was direkt vor der Haustür wuchs, habe ich gesammelt und verarbeitet. Es war ein Leben im Rhythmus der Jahreszeiten, mit einem tiefen Respekt für alles, was wächst.

Würzende Heilkräuter und heilende Würzkräuter

Mädesüß – das pflanzliche Aspirin

Im Sommer war rund um das Haus eine Fülle von wild wachsenden Kräutern und Beeren zu finden. Ich sammelte sie mit Begeisterung und stellte daraus Kräutersalze, Suppenwürzen, Fruchtaufstriche, Tees, Sirupe und vieles mehr her. Diese Schätze der Natur waren nicht nur kulinarische Kostbarkeiten, sie waren auch mein Zugang zur Heilkraft der Pflanzenwelt.

8 Monate Winter und 4 Monate kalt

Als ich 1986 auf den Enzingerboden kam, sagte meine Schwiegermutter, die den Alpengasthof 1970 gemeinsam mit ihrem Mann übernommen hatte, zu mir:
„Am Enzingerboden ist es acht Monate Winter und vier Monate kalt. Alles, was hier wächst, ist dreifach konzentriert.“
Trotz des rauen Klimas versuchte sie, Blumen, Schnittlauch, Karotten und Salat im Garten anzubauen. Die Nachbarin meinte nur: „Gu Mariel, da brauchst nix setzen, da woxt eh nix!“ Aber sie ließ sich nicht entmutigen und wurde mit Erfolg belohnt.

Mit dem Mond im Einklang

Meine Mutter, hatte mir schon früh den Umgang mit dem Mondkalender beigebracht. Auch meine Schwiegermutter arbeitete nach diesem Rhythmus. Ich habe mir im Laufe der Jahre meinen eigenen Kalender zusammengestellt, eine Mischung aus den Erkenntnissen von Maria Thun und Johanna Paungger.
So wusste ich: An Fischetagen oder Jungfrautagen besser keine Marmelade einkochen, da wird sie nicht schön in der Farbe oder beginnt leichter zu schimmeln. Auch Brot gelingt an solchen Tagen weniger gut. An Fruchttagen hingegen, da passt alles: Farbe, Geschmack, Energie.

Wenn der Garten nicht will, ruft die Wildnis

Kräuterlimonade – mit Apfelsaft und Kräutern

Da der Garten wenig Ertrag brachte und die Arbeit zu viel wurde, habe ich begonnen, mich intensiv mit den wildwachsenden Pflanzen zu beschäftigen. Damals interessierte sich kaum jemand für diese „Unkräuter“, und oft hörte ich Sätze wie: „Früher hat man das gegen dieses oder jenes genommen, aber jetzt braucht man’s nimmer.“
Doch ich dachte mir: Wenn sie früher gewirkt haben, warum nicht auch heute? Also begann ich, alles zu lesen, was mir zum Thema Wildkräuter in die Hände fiel. Es war, als ob ich eine verborgene Sprache wiederentdeckte.

Heilkräuter vom Enzingerboden, ein tägliches Ritual

Korb mit Zinnkraut, Beinwell, roten Klee, Frauenmantel…

Die Wildpflanzen waren zuverlässig da, vom Frühling bis in den späten Herbst. Mein erster Weg am Morgen führte hinaus auf die Wiese: Kräuter und Blüten sammeln für Tee, Aufstriche oder eine erfrischende Limonade.
Ich freue mich über jedes einzelne Pflänzchen. Es ist, als würden sie mir entgegenlachen und sagen: „Hallo, da sind wir, treu zu Diensten.“
Das Sammeln wurde für mich zu einem täglichen Ritual. Es war Meditation, Verbindung, Dankbarkeit. Und oft kam ich mit einem viel zu kleinen Korb zurück, so viele riefen mir zu: „Nimm mich mit!“ Nur der Gedanke ans Verarbeiten bremste mich manchmal ein, denn das braucht mindestens ebenso viel Zeit und Hingabe.

Ein neuer Blick auf die Welt, astrologisch verwurzelt

Diese tiefe Verbindung zur Natur, zum Rhythmus der Jahreszeiten und zum Wirken des Mondes hat mir den Weg zur Astrologie bereitet.
Heute schaue ich nicht mehr nur in die Wiesen, sondern auch in die Sterne. Ich erkenne Muster, Zyklen und innere Bewegungen, genauso, wie ich sie einst in den Kräutern sah.
Die Essenz ist dieselbe geblieben: Es geht um das Lauschen, das Wahrnehmen, das Erkennen. Ob es ein Kraut ist, das zur rechten Zeit gesammelt wird, oder ein Mensch, der im richtigen Moment seinen nächsten Schritt erkennt, das Grundprinzip ist das gleiche.

Heute bin ich als Astrologin tätig. Was auf den ersten Blick wie ein radikaler Bruch erscheinen mag, ist für mich jedoch eine natürliche Weiterführung. Denn wenn man mit offenem Blick durch die Natur geht, beginnt man, diese planetarischen Kräfte zu lesen, in den Pflanzen sowie im Menschen. Genau hier begegnen sich Kräuterkunde und Astrologie.

Danke, Enzingerboden – für alles, was du mich gelehrt hast.
Alpengasthof Enzingerboden

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